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Depression in der Beziehung: Wie Achtsamkeit hilft, wenn die Liebe leidet



Doris Kirch
Viele Partnerschaften zerbrechen, wenn in der Beziehung ein Partner an Depression erkrankt. Doch bei einigen Beziehungen ist das anders: sie gehen gestärkt aus der Krise hervor. Wie Achtsamkeit hilft, die Beziehung durch die Depression zu retten.

Warum belastet eine Depression die Beziehung?

Eine Beziehung zu führen, erfordert schon unter "normalen" Bedingungen eine gewisse Kunstfertigkeit. Aber die Depression eines Partners kann für eine Beziehung zu einer echten Zerreißprobe werden.

In einer Untersuchung der 
Deutschen Depressionshilfe im Jahr 2018 gab rund die Hälfte der Betroffenen an, dass es zu Problemen in der Beziehung gekommen ist. 45 % der Befragten erlebten sogar eine Trennung während der Depression.

Durch das große Rückzugsbedürfnis, das bei 84 % der Betroffenen vorlag, fühlten sich die Partner zurückgewiesen. Das erhöhte Bedürfnis nach Ruhe, die Erschöpfung des Erkrankten und die damit einhergehende Interesselosigkeit, nahmen viele Beziehungspartner persönlich und sie fühlten sich verletzt.

Schlechtes Gewissen und Schuldgefühle dem Partner gegenüber

Obwohl es irrealistisch ist, entwickelten 73 % der Partner einer an Depression erkrankten Person Schuldgefühle und fühlten sich für deren Erkrankung und Genesung verantwortlich.

Diese Zahlen zeigen: Wenn jemand von Depression betroffen ist - dann hat das unvermeidbar auch starke Auswirkungen auf den Partner - und damit auf die gesamte Beziehung. Jede Krise, egal welchen Ursprungs, belastet eine Beziehung. Aber die Depression wirft einen besonders langen Schatten, denn sie betrifft viele Bereiche des gemeinsamen Lebens:

  • Austausch von Gefühlen
  • Häufigkeit und Qualität von Gesprächen
  • Rollenverteilung
  • Aufgabenbewältigung
  • Kindererziehung 
  • Gestaltung der Freizeit
  • Zukunftspläne
  • Sexualität 

Drei Hauptgründe für die Belastung der Beziehung bei Depression

Unzureichende oder falsche Informationen

Die Literatur zum Thema Depression füllt meterlange Buchreihen und im Internet kursieren unzählige Beiträge darüber. Institutionen und Einzelpersonen vermarkten ihre Kompetenzen, um damit Geld zu verdienen (wie ich auch) ;o) Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber die Rückfallreduktion in depressive Episoden und die Heilung von Depression geschieht nicht durch ein Fingerschnippen.

Für den Betroffenen und seinen Partner ist der Weg durch die Depression in der Regel ein langwieriger und bisweilen schmerzhafter emotionaler Prozess. Diese Tatsache verkauft sich jedoch nicht gut. Was sich hingegen gut verkauft, sind Versprechen von schneller und leichter Linderung und Heilung - weshalb das Marketing in der Hilfe bei Depression tendenziell auf "quick & easy" setzt. Da kannst du baden, ohne dich nass zu machen.

Unrealistische Erwartungen (auf beiden Seiten)

Die Erkrankung wird also im Mainstream häufig trivialisiert und verzerrt dargestellt. Das wiederum führt zu unrealistischen Erwartungen beim Betroffenen, wie auch bei seinem Partner. Weiter unten gebe ich einige Beispiele für solche kontraproduktiven (oder bestenfalls wirkungslosen) Hilfetipps, die direkt in die Frustration und zu weiteren Beziehungsproblemen führen können.

Mangelnde und/oder schlechte Kommunikation

Weder zu Hause noch in der Schule haben wir etwas über achtsames Miteinander-Reden oder über Gewaltfreie Kommunikation gelernt. Das führt bereits im normalen Alltag zu vielen Konflikten und Schwierigkeiten mit anderen Menschen.

In der Depression ist die Beziehung einer echten Belastungsprobe ausgesetzt. Beide Partner stehen unter enormem Stress, und unter Stress treten dysfunktionale Kommunikationsmuster besonders deutlich hervor. Hier ist die Gefahr groß, dass emotionsgeladene Worte aufeinanderprallen und keiner der beiden Partner sich gehört, gefühlt, verstanden, respektiert und unterstützt fühlt. 

Wie kann ich meinem Partner helfen, der an einer Depression leidet?

Um das oben angesprochene Problem mit den marketingoptimierten Tipps zu verdeutlichen, liste ich im Folgenden eine Auswahl der gängigsten Tipps für Angehörige von depressiven Menschen auf.

Lass diese Ratschläge einmal auf dich wirken und denke darüber nach, bevor du weiterliest. Fallen dir Aspekte auf, denen du nicht ohne Weiteres zustimmen würdest?

  • Informiere dich
  • Sei empathisch und urteile nicht
  • Höre aufmerksam zu
  • Ermutige zum Reden über schwierige Gedanken und Gefühle
  • Unterstütze bei der Therapiesuche
  • Achte auf die konsequente Einnahme der Medikamente
  • Fördere gemeinsame Aktivitäten und Zielsetzungen, ohne zu drängen
  • Sei geduldig, bleib realistisch-optimistisch
  • Erkenne deine eigenen Grenzen und hole dir selbst Unterstützung
  • Erkenne Suizid-Warnzeichen 

Du hast es bestimmt erkannt: Es zeichnet sich die Tendenz ab, Verantwortung auf den Partner auszulagern. Der Partner wird zur "Nurse" - oder schlimmstenfalls zu einem Therapeutenersatz. Einige dieser Tipps sind geradezu eine Einladung zur Übergriffigkeit, denn die meisten Menschen sind nicht darin geschult, die Grenzen zwischen Selbst- und Fremdbestimmtheit zu erkennen und zu wahren.

Wenn ich mit Betroffenen über ihre häusliche Depressions-Situation rede, erwähnt nahezu jeder das problematische Verhalten seines Partners, das als überfordernd, nicht wirklich einfühlsam und drängend beschrieben wird.

Mimik und Körpersprache der Erkrankten zeigen häufig ihr schlechtes Gewissen, das so zu sagen. Tut doch der Partner alles, um ihnen zu helfen. Doch aus Liebe wird oft genau das Falsche getan.

Mit den Augen der Achtsamkeit: Eine neue Sicht auf Depression und Beziehung

Mittlerweile umfassen die Ratschläge für Depressionshilfe in Beziehungen auch Hinweise für den Partner. Er wird ermuntert, seine Grenzen zu wahren, auf sein Wohlbefinden zu achten und sich Unterstützung zu holen. Dennoch ist die betonte Unterteilung in eine gesunde und eine kranke Person aus meiner Sicht nicht hilfreich.

Viel zielführender ist für mich die Perspektive der buddhistischen Psychologie. Sie geht über diese Separation hinaus, weil ihr ein anderes Weltbild zugrunde liegt. Für sie ist der einzelne Mensch Teil eines darüber hinausgehenden Systems des Lebens, in welchem alles miteinander verbunden ist und in wechselseitiger Abhängigkeit besteht. In einer Beziehung haben wir die Systeme von zwei Menschen, die in das System einer Partnerschaft eingebunden sind.

Bei einer Depression gibt es immer drei Betroffene

Es gibt also drei Komponenten, die leiden und der Zuwendung bedürfen: Der an Depression Erkrankte, der Partner und die BeziehungStatt eines Gefälles von "Ich bin gesund und du bist krank", wird hier das Wir betont und als Ressource genutzt. Aus der Perspektive der Achtsamkeit wird die Krise zur gemeinsamen Herausforderung, um daraus zu lernen und daran zu wachsen.

Beide Partner bringen Ressourcen mit, die sie bündeln. Wenn es einem Paar gelingt, die Depression als gemeinsame Herausforderung zu sehen, können beide aus einem Pool gemeinsamer Kraft schöpfen, um den Alltag und die Krise zu bewältigen.


In der modernen Psychologie ist dieser Ansatz zwar nicht verbreitet aber immerhin bekannt. Es gibt sogar einen Begriff dafür: We-Disease, "Wir-Krankheit", also "Wir sind beide krank".


Das ist die Perspektive, eine Depression als eine Aufgabe zu sehen, die beide Partner betrifft - nicht nur den primär Erkrankten. Hier wird die grundsätzliche Haltung ausgedrückt, gemeinsam durch dick und dünn zu gehen. Anstatt die Depression zur alleinigen Angelegenheit des Betroffenen zu machen, wird sie als Bewältigungsaufgabe des Paares verstanden.
Achtsamkeit als Ressource für Beziehungen im Depressionsgeschehen

Achtsamkeit als gemeinsame Ressource im Depressionsgeschehen

In der Psychologie wird dafür gerne das Bild von zwei Ruderern benutzt. In diesem Zusammenhang fällt oft dieser Satz: 

"Das Boot kommt voran, wenn beide in gleicher Stärke synchron rudern". 

Ich möchte das aufgrund einer eigenen Erfahrung mit dem Rudern gerne etwas differenzieren.

Vor einigen Jahren durchquerte ich in Norwegen einen Fjord in einem Zweier-Kajak. Dabei wurde mir mal der eine und mal der andere Arm etwas schlapp. Wenn das geschah, drifteten wir immer etwas ab. Sobald mein Vordermann das merkte, gleich er meine Schwäche jedes Mal aus.

Und wenn ich merkte, dass seine Kraft auf einer Seite etwas nachließ, habe ich dort etwas intensiver gepaddelt. So haben wir unsere kleinen Schwächen die ganze Zeit über wundervoll ausbalanciert. Mir hat der stillschweigende Ausgleich unserer Kräfte gut gefallen.

Damit beide Partner sich wichtig und wertvoll fühlen

Auch in einer Depression schwanken die Kräfte beider Partner nach meiner Erfahrung. Kein Mensch hat einen gleichbleibenden Energiepegel. So kann der von Krankheit Betroffene in manchen Momenten durchaus eine Stütze für den anderen sein. Und das schenkt ihm die wunderbare Erfahrung, ebenfalls etwas Hilfreiches zur Situation beitragen zu können. Indem die Partner sich so aufeinander einspielen, bleiben sie sich wichtig und jeder fühlt sich wertvoll.

Es geht also nicht um gleiche Stärke und um Synchronizität. Es geht vielmehr darum, gemeinsam darauf zu achten, das Boot nicht zum Kentern zu bringen, auf Kurs zu bleiben und Schwächen gegenseitig möglichst gut aufzufangen. Ein Vorgehen ganz im Geiste der Achtsamkeitspraxis.


Für solch eine ausgewogene Ruderpartie braucht es liebevolle Aufmerksamkeit: Es braucht ein achtsames Gewahrsein. Die Praxis der Achtsamkeit klärt den Geist und beruhigt das Herz. Dadurch hilft sie beiden Beziehungspartnern, sich immer wieder an die Verbundenheit zu erinnern,  sich darauf einzustimmen und ihre Ressource zu nutzen, um die Beziehung zu stabilisieren.


© Doris Kirch